Die Gruft klebt noch an meinen Fingern, während ich diese Zeilen schreibe. Die Abdrücke der Gummimaske schmerzen im Gesicht, die Füße sind schwer vom Tanz mit den Toten und der Bauch noch voll vom Satansbraten. Nein, alles Quatsch.
Die Besucher des 21. Wave Gotik Treffens in Leipzig sind Menschen wie du und ich. Sie essen gerne Erdbeereis, lachen über Simon’s Cat, posten Statusmeldungen von ihren iPhones auf Facebook und schieben Kinderwagen vor sich her. Sie sehen vielleicht nur ein bisschen anders aus, aber das tat E.T. auch und jeder fand ihn niedlich.
Viele Orte gleichen tagsüber einem Schaulaufen, einer Art Black Catwalk sozusagen. Fotografen und Hobbyknipser in Zivil stürzen sich auf die bizarr wirkenden Figuren in aufwändigen Kostümen, mit schrillem Make-up und morbiden Gesichtsausdrücken (für das Foto). Sie posieren und stolzieren gerne. Manchmal erwartet man fast, dass Bruce Darnell hinter der nächsten Ecke hervorspringt und etwas sagt wie: „Du siekst toll aus – du laufst wie die Tod auf zwei Beine, super!“
Und doch, etwas ist anders hier auf dem WGT zu Pfingsten: Nämlich die Stadt Leipzig, die sich verwandelt, als wäre sie schon immer der Mittelpunkt aller schwarzen Gestalten. Dieser Ort hat sich formvollendet auf die ca. 20.000 Besucher eingestellt. Das Festivalgelände ist im Prinzip die Stadt: Alte Hallen, historische Gebäude usw. werden geschmackvoll in Szene gesetzt und zu Treffpunkten für Kultur, Konzerte oder Discotanzflächen. Die Einzelhändler in der Innenstadt haben ihre schönste schwarze Ware in die Schaufenster gepackt und selbst Einheimische sind treue Ratgeber, falls man als verwirrter Festivalbesucher malwieder nicht weiß, mit welcher Tram man zu Punkt XY kommen soll. Und ist die Musik laut bis in die Morgenstunden oder grölen ein paar schwarze Gestalten um die Wette, so lächeln die Leipziger einen an und sagen „Ja, ist halt so, wenn Sie wüssten wie es hier noch vor 10 Jahren ausgesehen und auch wieder aussehen wird, wenn die ganzen Leute weg sind, dann würden Sie sich auch freuen.“
So etwas wäre in anderen Städten kaum denkbar, wie z.B. in Bremerhaven. Was passiert, wenn hier die Stadt erwacht z.B. zur Sail? Wie lange darf die Musik anbleiben? Welcher Außenhändler stellt sich so liebevoll auf Horden von Touristen ein? Und wenn dann noch ein Platz entstehen soll, wo junge Menschen (und ich) ausgelassen feiern können, wer reagiert dann noch erfreut?
Für mich hat das WGT als Festival einfach einen ganz eigenen Charme, ich mag die Atmosphäre der Stadt, die Menschen und die Musik (so ab und an), einfach ein Ort für Inspiration, Perspektivenwechsel und um den Kopf frei zu bekommen. Wohl dem, der es schafft, sich von Zeit zu Zeit im Leben zu verlieren, denn nur entstehen neue Gedanken. Und wer mich irgendwo auf einem Foto in den diversen Bilderstrecken im Internet entdeckt bekommt Erdbeereis.