Null Fehler in der Mathematikarbeit sind gut, Null Fehler in der Persönlichkeit machen unbeliebt und unnahbar. Und wenn der „Fehlerteufel“ mal wieder zuschlägt, fehlt meist nicht viel und es gibt ein großes Fehlervermeidungsmeeting. Wie es wohl wäre, gäbe es ein Macht-mehr-Fehler-Meeting? Fehlerkultur im Unternehmen – ein tabugleiches Thema. Einerseits glauben wir an einen fehlerlosen Geschäftsablauf, anderseits wissen wir aber auch, dass ohne Fehler kaum Weiterentwicklung möglich ist. Gäbe es keine Fehler, käme das Neue seltener in die Welt. Das heißt, ohne Fehler fehlt mir was, nämlich Erfahrung, Verbundenheit und Wachstum. Hört sich komisch an, ist aber so. Es scheint, als hätten wir uns eine Kultur erarbeitet, die aus einem einzelnen Fehlern, schnell die Angst des „gescheitert seins“ hervorbringt und weiterreichend ein generelles „Versagen“ mitschwingen lässt. Aber muss das so sein?
Andy Gebhardt ist Jongleur, Speaker und Entertainer rund um das heikle Thema Fehlerkultur. In seinem empfehlenswerten Vortrag „Was wäre ich bloß ohne Fehler?“ spricht er offen über seine Erfahrungen mit Fehlern auf und hinter der Bühne und gibt dabei erstaunliche Einblicke, die bei den Zuhörern meist eine Verkettung neuer Gedanken in Gang setzen. Zudem verrät er, wie er als Jongleur selbst einen gelassenen Umgang zu Fehlern findet, ja, sie sogar lieben kann. Artistische Einlagen runden das Vortragserlebnis des authentischen Experten ab. So, und jetzt bloß keinen Fehler machen! Gleich geht der Artikel online, werden alle Bilder richtig angezeigt, ist alles richtig geschrieben, sind alle Links richtig gesetzt, habe ich die richtigen Fragen gestellt? Herr Gebhardt bitte – Bühne frei!
Aus der Werbung kennen wir das „Kopfschmerzgesicht“, das „Darmleidengesicht“, das „Sauermachtlustiggesicht“ und vieles mehr. Was ist Ihr „Fehler-Gesicht“?
Mein Fehlergesicht verändert sich zwischen dem ersten und dem vierten Fehler. Einen Fehler finde ich nicht schlimm, das gehört dazu. Ich finde sogar eine Show mit einem Fehler besser als eine fehlerfreie. Beim zweiten Fehler versuche ich meine Emotion mit dem Publikum zu teilen, da kann das Gesicht schon mal so aussehen wie auf dem Foto nebenan. Normalerweise haben die Leute großes Verständnis, dafür, dass Fehler passieren und nehmen das nicht krumm. Aber wenn es dann zu viele werden, dann fragt man sich schnell ob der da vorne überhaupt was geübt hat oder wer ihn eigentlich engagiert hat. Das passiert Gott-sei-Dank fast nie und wenn, dann schaue ich lieber nicht in den Spiegel.
Aber warum wirken Sie dabei so fröhlich? Normalerweise sind wir doch recht betrübt geht es um Dinge, die nicht nach Plan laufen. Finden Sie Fehler gut?
Ich versuche natürlich auch Fehler zu vermeiden, aber gerade auf der Bühne geht es ja nicht um Perfektion, sondern um Unterhaltung. Es ist häufig der Fall, dass Fehlerfreiheit in den Mittelpunkt gerückt wird, obwohl es eigentlich um etwas anderes geht.
Menschen kann man leichter unterhalten wenn man Zugang zu ihnen hat, und dafür ist ein Fehler ganz dienlich. Wir Menschen machen Fehler und wir alle wissen das, auch wenn wir sie per se nicht mögen. Macht man alles perfekt, hinterlässt das oft einen faden und distanzierten Geschmack. Macht man einen Fehler, weiß jeder sofort: Oh, das könnte mir auch passieren. Sie kennen das bestimmt auch aus ihrem Bekanntenkreis, wenn an einem Menschen alles perfekt zu sein scheint, dann ist er meist auch stinklangweilig und oftmals mag man ihn auch gar nicht. Menschen mit Ecken und Kanten und kleinen Fehlern, sind uns sofort sehr viel sympathischer, zumindest so lange es nicht zu viele Fehler sind. Mit einem Fehler auf der Bühne kann eine zwischenmenschliche Verbindung hergestellt werden mit der dann viel angenehmer miteinander weiter gearbeitet werden kann. Perfektion ist unmenschlich und kalt und auf der Bühne sogar langweilig.
In wie weit kann das Verhältnis zu Fehlern entscheidend für die Fragestellung „Wie kommt das Neue in die Welt“ sein? Welche Möglichkeiten habe ich in meinem Unternehmen eine Fehlerkultur zu entwickeln, die Veränderungen begünstigen kann ohne mich gleich in den Ruin zu treiben?
Fehler sind menschlich, irren ist menschlich. Wir wollen aber dennoch fehlerfrei sein und unsere Aufgaben perfekt erledigen. Das klappt jedoch nicht zuverlässig, es geht einfach nicht WEIL wir Menschen sind. Das heißt, wir leiden und unser Selbstbewusstsein ist angekratzt. Erst recht wenn andere von einer Verfehlung mitbekommen. Deshalb ist es natürlich einladend, einen Fehler weiterzuschieben oder zu vertuschen.
Im Unternehmen wird, genauso wie in der Jonglage, Hand in Hand gearbeitet. Fängt eine Hand den Ball nicht, kann das auch an einem ungenauen Wurf liegen, und dieser Wurf ist vielleicht deshalb schlecht, weil der vorausgehende Wurf so eigenartig war. Wie soll diese eine Hand, die den Ball nicht fing jetzt mit dem Fehler umgehen? Ist sie alleine verantwortlich? Kann sie ganz alleine so einen Fehler nachhaltig verhindern?
Es gilt die Fehler aus dem Dickicht des Verbergens und Vertuschens zu holen und offen ansprechbar zu machen. Kosten für Fehler sind Lehrgeld. Der Schaden ist bereits da, nun geht es darum für diesen Preis auch eine Lerneinheit zu erhalten. Sanktionieren sollte man nicht den, der den Fehler macht, sondern den, der den Fehler verheimlicht, denn damit wird das Unternehmen der Chance beraubt daraus zu lernen. Dafür braucht es einen offenen Umgang mit Fehlern, eine Kommunikation, die ohne Schuldzuweisung und Selbstverteidigung auskommt. Denn nur wenn alle gemeinsam und sachlich Fehler auswerten, kann man wirkungsvolle präventive Maßnahmen erarbeiten, und das ist dann was Neues das dem Fortschritt und der Menschlichkeit dient.
Manchmal gleicht der (berufliche) Alltag auch einer Jonglage mit vielen Bällen (Projekte, Termine, Deadlines etc.) die in der Bewegung gehalten werden wollen. Welchen praktischen Tipp haben Sie aus Ihrer Artistenkarriere: Ist es besser nur mit zwei bis drei Bällen, dafür konzentriert, zu starten auch wenn das nicht sonderlich viel schafft, oder versuche ich es schnell mit sehr vielen Bällen, habe hohen Output und nehme dafür in Kauf, dass ein, zwei Dinge „hintenrüberfallen“?
Will man Jonglieren, muss man einen Ball erst mal loslassen können. Und während er fliegt kümmert man sich um den nächsten Ball. Man kann aber nicht alle Bälle ständig im Auge behalten, deshalb üben Jongleure. Beim Üben lernt man sich auf den einen Wurf zu verlassen, auf seine Fähigkeiten zu vertrauen, damit man seine Aufmerksamkeit zwischenzeitlich einem anderen Ball oder anderen Herausforderungen zukommen lassen kann. Mit jedem weiteren Übungsschritt wachsen das Können und das Vertrauen in sich.
Beim Jonglieren achtet man also nicht auf alle Bälle gleichzeitig sondern immer nur auf einen und daraus leitet man dann ab wo er ankommt. In der Fünf-Ball-Jonglage macht man fünf Würfe pro Sekunde, das heißt man hat nur 0,2 Sekunden um zu werfen und dazwischen muss man auch noch prüfen wo der Ball hinfliegt, die Hände dorthin schicken und den Ball fangen.
Es macht keinen Sinn als Anfänger gleich fünf Bälle jonglieren zu wollen. Wenn das das Ziel ist sollte man trotzdem erst mal mit drei Bällen jonglieren lernen, dafür beginnt man mit einem Ball, und dafür fängt man an, den korrekten Abwurf zu üben. Will ich gleich viele Bälle auf einmal jonglieren, fallen nicht nur ein/zwei hinten über, sondern alles bleibt auf der Strecke, weil man sich selbst überfordert. Selbst wenn man dann mal einen Zufallstreffer landet, langfristig ist es zum Scheitern verurteilt. Die Erfolgserlebnisse bleiben aus, Frust macht sich breit und dann gibt man auf.
Also lieber langsam, Schritt für Schritt, nicht alles auf einmal. Dafür muss ich lernen mit mir selbst Geduld zu haben und zum nächsten Ball auch mal Nein zu sagen.